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"Economic security is national security": Eine geoökonomische Analyse in 12 Essays

Yvonne Hofstetter

Photo: Adobe stock

Was tun, wenn auch die jüngere politische Ordnung gerade zur Geschichte wird? Dazu haben zwölf Autoren von Rang in der Essaysammlung Storms Ahead publiziert. Die Verfasser beschäftigen sich mit dem Niedergang der Pax Americana und der Globalisierung unter der Hegemonialmacht USA und einer „dramatischen Bifurkation“. Was damit gemeint ist, führen die Autoren mit einem 360-Grad-Blick auf die neue Post-Westphalian Order aus. Sie beschreibt eine Weltordnung, in der einige Staaten ihre Souveränität stärken wollen, während andere, darunter einige EU-Mitgliedsstaaten, eine kosmopolitische, liberalistische Haltung vertreten. Die beiden Positionen sind schwer miteinander vereinbar. Stand der historische Westen für das nähere Zusammenrücken von Staaten, für demokratische liberale Werte, Rechtsstaatlichkeit und vernetzte Wertschöpfungsketten, die von gemeinsamen Institutionen wie der WTO und einem gemeinschaftlichen Finanzsystem getragen wurden, steht jetzt ein Machtwechsel an, bei dem man sich wohl von bisherigen Komfortzonen verabschieden muss.

 

Politisches Schlechtwetter voraus, prognostizieren die Autoren. Dabei richten sie ihren Blick nicht nur aus politischen Gründen gen Osten. Traditionell ist Österreich durch Handelsbeziehungen mit seinen östlichen Nachbarn partnerschaftlich eng verbunden. Das Ringen um die Gestaltung ihrer Handelsbeziehungen unter einer neuen internationalen Ordnung bewegt die Österreicher. Dem Gestalten aber geht Verstehen voraus, und so ist thematischer Schwerpunkt der Essaysammlung die immer engere Verkettung von Wirtschaft und internationaler Politik zur Geoökonomie. Wenn die amerikanische Globalisierung auf Liberty beruhte und darunter verstand, dass Wirtschaftsunternehmen ihrer Geschäftstätigkeit frei von staatlicher Regulierung und Eingriffen nachgehen konnten, geht Geoökonomie weit über ein ordoliberales Verhältnis von Staat und Privatwirtschaft hinaus. Heute schweben „neue und divergierende westliche und nicht westliche inländische politische Präferenzen“ (Borchert) über unternehmerischem Handeln. Was dies für die betroffenen Unternehmen praktisch bedeutet, reflektieren die Autoren allerdings kaum, wenn sie sich auf die Analyse der politischen Umbrüche beschränken. Eine Risikoanalyse der betroffenen Unternehmen steht also noch aus und wäre logische Antwort auf die politischen Erwägungen der Autoren.

 

Zu den potenziellen Usurpatoren der alten Machthaber gehören heute China, Russland, aber auch Staaten des Mittleren Ostens. Der Machtfrage verleihen sie militärischen Nachdruck, wie die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine oder die Überflüge chinesischer Kampfjets über das Territorium Taiwans, dessen weltweit führende Chipindustrie zur Front des amerikanisch-chinesischen Showdowns zu werden droht, zeigen. Gewaltandrohung ist das eine, wirtschaftlicher Druck, der weit über politisch legitime Sanktionen oder Zollschranken hinausgeht, das andere Mittel der Eroberung globaler Macht. Wirtschaftliches Handeln und die Supply Chain werden zur „Waffe“. (Wieser) Deshalb finden geoökonomische Szenarien zu Recht Beachtung in Strategien für Nationale Sicherheit, etwa in Russland oder in den USA: „Economic security is national security.“

 

Das hat auch Wladimir Putin erkannt. Das Essay von Dmitri Trenin analysiert die russische Nationale Sicherheitsstrategie 2021 und ihre strategischen Prioritäten. Militärische Stärke soll Putins Führungsanspruch gegenüber den USA zwar Nachdruck verleihen. Trenin berichtet aber auch von einer neuen Interessenslage: Russland wolle Wettbewerbsfähigkeit durch Fokus auf wirtschaftliche Modernisierung des Landes herstellen. Wettbewerbsfähigkeit als Grundlage amerikanischer Profitorientierung ist wahrscheinlich nicht Motivation russischer Politik, wohl aber der Drang zu wirtschaftlicher Autarkie.

 

Warum die internationale Gemeinschaft stürmischen Zeiten entgegengeht, erklärt auch Ross Kennedy. Er stellt den Umbruch in den Kontext eines komplexen dynamischen Systems und versteht die Auswirkungen von COVID-19 auf die Wertschöpfungsketten als den Eintritt von Emergenz. Dabei handelt es sich um einen neuen Systemzustand der Weltgemeinschaft, der die Pax Americana ablöst. Läge Kennedy mit seiner Einschätzung, der jeder Dynamiker vollständig zustimmen kann, richtig, wäre das System internationaler Beziehungen, wie wir es noch bis vor kurzem kannten, Geschichte, die bisherigen Entwicklungen nicht umkehrbar und das westliche Modell unwiederbringlich verloren. Dieser neue Systemzustand – Kennedy nennt ihn Nova Swan – werde von drei Eigenschaften geprägt: von der Entkopplung internationaler Warenströme, von der Regionalisierung der Wertschöpfungsketten und von hybriden Bedrohungen und Konflikten – auch um Rohstoffe – in allen Domänen.

 

Für die künftige Versorgungssicherheit der österreichischen und europäischen Industrie und Wirtschaft, aber auch der Konsumenten, steht es also nicht gerade zum Besten. Wirtschaftliche Resilienz rückt in den Fokus. Bessere Kreislaufwirtschaft soll die mehrfache Verwendung von Rohstoffen ermöglichen, aber auch künstliche Intelligenz könne Unterstützung leisten: Naheliegend ist, Aufgaben in den Wertschöpfungsketten durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zu automatisieren (Kennedy), hybride Cyberbedrohungen abzuwehren und neu darüber nachzudenken, „wie neue Risiken wie ökonomische und technologische Abkopplung abgesichert werden“ können. (Strobel)

 

All das klingt nach Risikopolitik – das ist so eine ganz andere Politik, als sie Bürger westlicher Wohlfahrtsstaaten noch gewohnt sind und vermutlich auch gewählt haben. Risikopolitik heißt, „auf Vorrat zu denken“. Sie beschreibt Schadensszenarien, die auch den Katastrophenfall nicht ausklammern, macht Vorschläge für Gegenmaßnahmen, bei denen (Rechts-) Güter gegeneinander abgewogen werden, und sie spezifiziert die Kosten dieser Politik. Die Kosten der Risikopolitik zu bestimmen, das ist das klassische Hedging-Prinzip. Risikopolitik und Hedging sind zwei Seiten derselben Medaille.

 

Einige Regierungen handeln bereits. Österreich verlässt sich dabei nicht alleine auf die EU, die, veranlasst durch die COVID-19-Pandemie, den EU Action Plan on Critical Raw Materials und das EU International Procurement Instrument verabschiedet hat. Österreich formuliert eine eigene nationale Sicherheitsstrategie und stellt Notfallpläne für die „wirtschaftliche Krisenvorsorge“ auf. (Schramböck) Sie setzt auf drei Säulen – Versorgungssicherheit, Kontinuität und Resilienzmanagement, das österreichische Unternehmen auf Schlechtwetterzeiten vorbereiten soll. Das wird Geld kosten – die unvermeidlichen Hedging-Kosten eben. Sie sind aber gut angelegt, sollte der Bad Case wirklich eintreten.